Die Rolfing-10er-Serie – Vorwort
Im Englischen wird die Rolfing-10er-Serie auch ‚recipe‘ genannt, also ‚Rezept‘. Doch diese Bezeichnung ist irreführend. Es geht in keiner Weise darum, mit den immer gleichen Zutaten das immer gleiche Ergebnis zu erzielen.
Vielmehr ist die 10er-Serie eine Abfolge von ‚Fragestellungen‘, deren Reihenfolge wichtig ist. Denn wir müssen in der Lage sein, das, was sich nach einer Sitzung im Körper verändert hat, zu integrieren, bevor die nächste Sitzung neue Veränderungen mit sich bringt. Dies gilt nicht nur für körperliche, sondern auch für psychische Prozesse.
Die 10er-Serie ist das Herz des Rolfings
Für mich trägt die 10er-Serie die ganze Schönheit des Rolfings in sich.
Die zehn Sitzungen der Serie bauen aufeinander auf. Jede Sitzung befasst sich mit einer ausgewählten Körperregion und verfolgt bestimmte Ziele. Dabei liegt der Schwerpunkt abwechselnd auf der oberen oder unteren Körperhälfte.
Zum Ende jeder Sitzung werden die Veränderungen zunächst im Liegen über die beiden Enden der Wirbelsäule (Halswirbelsäule und Kreuzbein) und abschließend im Sitzen über den gesamten Rücken integriert.
Auf diese Weise gelangt der neu ausgerichtete Körper schrittweise wieder in den Einfluss der Schwerkraft.
Durch die Struktur der 10er-Serie erhalten die Klienten bzw. Klientinnen stets Grund unter den Füßen, der sie unterstützt, und einen Horizont und Raum, der ihnen neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet.
Die 10er-Serie hat 3 Abschnitte: Sitzungen 1-3. 4-7 und 8-10
Die Sitzungen 1-3 zielen auf die oberflächlicheren Faszienschichten ab. Zusätzlich dienen Sie dem Kennenlernen, denn eine sichere und vertrauensvolle Beziehung zwischen Klienten und Rolfer ist die Voraussetzung dafür, dass Veränderungen geschehen können.
Das Ziel der ersten Sitzung ist ein freier Atem. Hierzu bearbeitet der Rolfer die Faszien des Brustkorbs. Gleichzeitig beginnt er, die Beweglichkeit des Schulter- und Beckengürtels und der Wirbelsäule zu verbessern. Denn: Für eine ungestörte Atmung muss der Brustkorb frei von Einschränkungen durch die Schultern und das Becken sein und die Wirbelsäule im Atemrhythmus mitschwingen können.
Die zweite Sitzung widmet sich der Funktionseinheit aus Unterschenkeln und Füßen. Diese müssen sich an die veränderte Lotlinie des Körpers – die häufig bereits nach der ersten Sitzung festzustellen ist – anpassen können. Gleichzeitig braucht es wache Füße, die sich flexibel an den Boden anschmiegen und Unterstützung und Sinnesinformationen liefern. Der Körper benötigt diese Informationen, um sich mühelos über den Füßen auszubalancieren.
Die dritte Sitzung konzentriert sich wieder auf den Oberkörper. Die Unabhängigkeit von Schultergürtel, Beckengürtel und Brustkorb wird weiter verbessert. Zusätzlich liegt das Augenmerk nun darauf, die Vorder- und Rückseite des Körpers ins Gleichgewicht zu bringen, eine klare Seitenlinie zu definieren und die Schwingungen der Wirbelsäule zu harmonisieren.
Nun ist der Klient auf die Arbeit an tieferen Strukturen vorbereitet. In den Sitzungen 4-7 begeben wir uns auf die Spur von Ida Rolfs ‚Line‘. Die ‚Line‘ ist keine anatomische Struktur, sondern bezeichnet die ungestörte Beziehung der vor der Wirbelsäule liegenden Strukturen. Die ‚Line‘ ist das funktionelle Zentrum unserer kontralateralen und spiraligen Bewegungen und damit unserer freien Ausdrucksfähigkeit.
Ida Rolf hat das selbst noch umfassender ausgedrückt:
„Die ‚Line‘ ist der Ort im Körper, der das Zentrum unseres Wesens darstellt, der Ort, von dem aus wir leben. Sie ist das Zentrum unserer Energie, unserer Emotionen und unseres Geistes.“ (eigene Übersetzung)
Die vierte Sitzung widmet sich der Verbindungslinie von der Großzehe zum Beckenboden. Sind die hier liegenden Strukturen frei, kann der Fuß beim Gehen in der Abdruckphase eine spiralige Bewegung einleiten, die sich das Bein hinauf bis zum Beckenboden fortsetzt. Diese Dynamik wird in den folgenden Sitzungen auf die Wirbelsäule übertragen. Am Ende der vierten Sitzung wird bereits die Verlängerung dieser ‚Linie‘ bis in den Hals und Mundboden bearbeitet.
In der fünften Sitzung geht es um Druckverhältnisse und um die Harmonisierung der äußeren und inneren Strukturen von Brust und Bauch. Es wird ‚Raum‘ geschaffen, damit die oben beschriebene Dynamik die Wirbelsäule entlang fließen kann. Dabei spielt auch eine verbesserte Funktion des Psoas-Muskels eine Rolle. Zusätzlich geht es um die Beziehung der Arme – als Träger unserer Ausdrucksfähigkeit und sozialen Interaktionen – zu den tiefen Strukturen vor der Wirbelsäule.
Die sechste Sitzung gehört der Längung, Befreiung und Integration der gesamten Körperrückseite von der Ferse bis hinauf zum Hinterhaupt. Nun betrachtet der Rolfer die Strukturen des Rückens im Detail. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Kreuzbein, das eine gute Beziehung einerseits zum übrigen Beckenring (im Iliosakralgelenk) und andererseits zum Rest der Wirbelsäule pflegen muss, damit die Füße und Beine gut mit dem Rücken kommunizieren können.
In der siebten Sitzung wird der Kopf auf dem neu ausgerichteten Körper ausbalanciert. Er soll seinen ‚Sky Hook‘ erhalten, damit er die Wirbelsäule wie von einem unsichtbaren himmlischen Faden gehalten in die mühelose Aufrichtung längen kann. Da viele Strukturen des Kopf-Hals-Bereiches im Oberkörper entspringen oder in die Arme ziehen, beginnt die Arbeit dort. Danach geht es um den Kopf selbst (samt Kiefer), wodurch auch das Gleichgewichtsorgan im Innenohr beeinflusst wird.
In den Sitzungen 8-10 liegt der Schwerpunkt auf der Integration. Die Arbeit erfolgt in immer größeren Zusammenhängen. Während es zuvor meist darum ging, die Unabhängigkeit von Strukturen zu verbessern, wird nun vermehrt ein besseres Zusammenspiel angestrebt. Das Ziel ist, die bereits erzielten Veränderungen so weiter zu integrieren, dass nach Abschluss der Serie die Schwerkraft positiv auf den Körper einwirken und weitere Verbesserungen erzielen kann. Denn:
„Die Schwerkraft ist die Wurzel aller Anmut.“ (Laotse)
Die Sitzungen acht und neun können äußerst individuell gestaltet sein, bleiben aber wie eine Mini-Serie aufeinander abgestimmt. In Sitzung acht orientiert sich die Entscheidung für das weitere Vorgehen an der Frage: „Welche Veränderungen kann der Klient voraussichtlich am besten integrieren, damit sich die positiven Wirkungen von dort weiter im Körper ausbreiten können?“ Allgemein mag Sitzung acht mehr strukturell und Sitzung neun mehr funktionell orientiert sein.
Die zehnte Sitzung ist der Abschluss, ein wichtiges Prinzip des Rolfings. Der Rolfer widmet sich noch einmal allen Körperregionen. Häufig bittet er den Klienten, eine Bewegung auszuführen, während er selbst im Gewebe arbeitet. Dadurch werden Sinnesrezeptoren angesprochen und die Erfahrungen im Nervensystem verankert. Außerdem geht es um Beziehungen: Die Beziehungen zwischen den tiefen und oberflächlichen Faszien und der Haut und die Beziehungen zwischen den großen Körpersegmenten.
Aus der Sicht des Rolf Movement lässt sich die 10er-Serie auch folgendermaßen beschreiben
Die Polarität „oben-unten“ fördert die natürliche Aufrichtung
In den beiden ersten Sitzungen widmen wir uns der Ausrichtung zwischen oben und unten. Das ist für sich genommen schon ein wunderbares Ziel. Man denke nur daran, wie wichtig diese Polarität beispielsweise in der Meditation ist und wie viel Klarheit und Ruhe sie mit sich bringt.
Die Polarität „vorn-hinten“ bringt Tiefe in das Erleben
In Sitzung 3 klären wir die Seitenlinie des Körpers und bringen vorn und hinten ins Gleichgewicht. Während meiner Ausbildung wurde mir die Bedeutung der 3-Dimensionalität, die sich daraus ergibt, durch einen Vortrag über Kunstgeschichte erklärt: Durch die 3-dimensionale Darstellung von Menschen kam Tiefe und Gefühl in die Kunst.
Von Hubert Godard, einem Tänzer und Professor für Tanz in Paris, der dem Rolf Movement wichtige Impulse und Klarheit gegeben hat, stammen die Worte: „I am in the space and the space is in me.“ Dies kann man vielleicht als Rolfing-‚Koan‘ bezeichnen, da das Verständnis dieser Worte mit einem neuen Erleben des Körpers im Raum einhergeht. – Sofern man es nicht von Anfang an verstanden hat, aber bei mir hat das eine Weile gedauert.
Die Polarität „rechts-links“ verleiht unseren Gesten Anmut
Stellen Sie sich einmal vor, jemand kommt auf Sie zu und streckt Ihnen beide Hände entgegen, um Ihnen ein Geschenk zu überreichen. Wenn sich unsere rechte und linke Körperhälfte symmetrisch verhalten, bewegt sich unsere Wirbelsäule im Wesentlichen in Richtung (Ver)beugen und Aufrichten. Wie wirkt solch eine Geste, wie ich sie oben beschrieben habe, auf Sie? Probieren Sie es aus.
Im Vergleich zu diesen symmetrischen Bewegungen bringen die Kontralateralität und die damit einhergehenden spiraligen Bewegungen mehr Anmut und eine freiere Expressivität in unsere Gesten. Kriegerstatuen werden häufig symmetrisch und Götterstatuen mit einer spiraligen Gestik dargestellt. Schauen Sie einmal bei Google nach.
Die Polarität „Zentrum-Peripherie“ schenkt uns ein Zoom-Objektiv
Sind wir in uns verwurzelt und gleichzeitig offen für unsere Umgebung, können wir angemessener auf die Anforderungen des Alltags reagieren. Dies ist ein Ziel des Rolfing-Prozesses, welches in den Sitzungen 8 bis 10 vermehrt in den Vordergrund rückt.
In diesem Blog stelle ich Ihnen nach und nach alle Sitzungen der 10er-Serie vor.
Sind Sie neugierig geworden und möchten Sie schon jetzt mehr erfahren? Dann rufen Sie mich an oder vereinbaren Sie eine Sitzung. Denn ein Körpergefühl sagt mehr als 1.000 Bilder bzw. 1.000.000 Worte.
Sie erreichen mich unter rolfing(at)cirsten-verleger.de oder +49 177 738 5498.
Gern beantworte ich Ihnen weitere Fragen.